Seit Mai 2017 sind in der Schweiz drei Insekten-Arten als Lebensmittel zugelassen. Der Lokalsender Tele Top berichtete in seinem Wochenmagazin darüber. Als Ernährungsberaterin war ich zum Interview eingeladen.
Was halten Sie von Insekten als Lebensmittel?
Insekten sind in vielen Teilen der Welt ein wichtiges Grundnahrungsmittel. Bei uns finde ich sie eine interessante Ergänzung zu unserem bestehenden Nahrungsangebot. Sie scheinen positive Eigenschaften zu haben, allerdings gibt es auch Argumente, die dagegen sprechen.
Wie schätzen Sie das Potenzial von Insekten als Lebensmittel ein?
Bei uns werden Insekten wohl für die nächsten Jahre wohl ein Nischenprodukt bleiben. Für Menschen, die neugierig sind, gerne experimentieren und Gericht aus anderen Kulturen kennenlernen möchten, ist das sicher eine reizvolle Alternative zur normalen Ernährung. Das heisst aber nicht, dass Insekten nicht auch Potenzial für die Zukunft haben könnten. Unsere Ernährungsgewohnheiten ändern sich stetig. So war zum Beispiel asiatisches Essen vor 30 Jahren in der Schweiz auch nicht gerade populär. Das hat sich ja massiv verändert, wie wir heute sehen.
Die FAO, die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen, sieht Insekten als ein Mittel gegen den Welthunger. Sie enthalten viele Nährstoffe wie Proteine, Vitamine, Mineralstoffe und gesunde ungesättigte Fettsäuren. Sie können ressourcenschonend gezüchtet werden. Züchter sagen, dass im Vergleich zur Herstellung von Rindfleisch der Verbrauch an Wasser und Futtermittel in der Produktion von Insekten um ein Vielfaches kleiner sei, die CO2-Emissionen könnten um das 10- bis 100-fache reduziert werden.
Sind Insekten gesünder als Fleisch, wenn ja, warum?
Das lässt sich so pauschal nicht beantworten. Ob ein Lebensmittel gesund ist, hängt vielfach von der Menge ab, und was sonst noch verzehrt wird. Eine gesunde Ernährung ist ausgewogen und vielseitig.
Zudem gibt es immer wieder neue wissenschaftliche Erkenntnisse. Noch vor wenigen Jahrzehnten war die Wissenschaft der Meinung, Spinat hätte sehr viel Eisen, folglich sehr gesund sei. Jahre später fand man heraus, dass sich in der Berechnung ein Kommafehler eingeschlichen hatte. Ein anderes Beispiel war der angeblich entwässernde Kaffee; das ist heute ebenfalls widerlegt.
Wie bei fast allen Ernährungsfragen gilt auch bei den Insekten beide Seiten der Medaille anzuschauen. Es existieren Studien, die zum Teil zu konträren Ergebnissen kommen; manche verneinen schlichtweg, dass Insekten gesünder sind als Rind, Schwein und Huhn. Fakt ist: Es fehlen wissenschaftliche Erkenntnisse.
Hersteller und Händler bewerben den hohen Proteinanteil, die vielen Vitamine (A, B, B12), Mineralstoffe (Eisen, Zink, Kalium und Kalzium) und die gesunden, ungesättigten Fettsäuren. Experten sagen aber auch, dass der Anteil an ungesättigten Fettsäuren in Insekten von der Fütterung abhänge. Insekten in freier Wildbahn enthielten mehr ungesättigte Fettsäuren, solche in Aufzucht vermutlich weniger, da die Fütterung von Fetten eher teuer sei. Bei der Zucht leben viele Tiere ausserdem auf kleinstem Raum. Da stellen sich die Fragen nach der Hygiene und dem Einsatz von Medikamenten.
Zudem: Insekten sind nicht gleich Insekten. Die Nährstoffzusammensetzung ist je nach Art anders. Und schlussendlich kann man einen ungesunden Lebensstil nie mit einem einzigen gesunden Nahrungsmittel kompensieren.
Kann man nicht einfach auf Fleisch und Insekten verzichten?
Ja, das kann man. Und die Anzahl der Vegetarier und Flexitarier – sozusagen Teilzeit-Vegetarier – in der Schweiz steigt. Durch geschicktes Kombinieren der Lebensmittel lässt sich der Bedarf an den meisten wichtigen Nährstoffen decken. Gegen einen mässigen und bewussten Konsum von Fleisch ist nichts einzuwenden. Dies gehört für die grosse Mehrheit der Schweizer Bevölkerung zur Ess-Kultur. Die Schweizerische Gesellschaft für Ernährung empfiehlt zwei- bis dreimal pro Woche eine Portion Fleisch oder Fisch.
Warum ekeln sich viele Leute vor Insekten, nicht aber vor Fleisch?
Ich glaube, bei vielen sind die Vorurteile anerzogen. Das beginnt schon sehr früh im Sandkasten, auf dem Spielplatz oder irgendwo draussen. Sobald wir uns unseren ersten Wurm in den Mund stecken wollen, greifen die Eltern oder Bezugspersonen ein und lehren uns, dass das «gruusig» ist und dass das nichts zum Essen ist.
Ich kenne aber auch Menschen, die ekeln sich vor Fleisch. Oder andere, die lieben Langusten und Krebse, ekeln sich aber vor den Fühlern der Heuschrecken. Der Mensch ist halt nicht immer ein rationales Wesen. Im Thema Essen stecken so oder so auch viele Emotionen. Dies ist auch ein zentrales Thema in der Ernährungsberatung.
Für jene, die sich vor Insekten ekeln, aber trotzdem neugierig sind und Insekten probieren wollen, sind Burger, Bällchen und ähnliches sicher ein gutes Einsteigerprogramm.
Was sind Ihre persönlichen Erfahrungen mit essbaren Insekten?
Ich habe vor einigen Jahren im Amazonasgebiet in Ecuador die Gelegenheit gehabt, Insekten sozusagen direkt frisch ab Dschungel zu probieren. Auf einer Exkursion im Regenwald haben wir Würmer grilliert und Ameisen mit der Zunge direkt vom dem Baum geschleckt. Das war ein unvergessliches Erlebnis. Die Ameisen prickelten wie Brause im Mund und schmeckten nach Zitrone.
In der Schweiz hatte ich bis jetzt noch nicht die Gelegenheit, werde die Insekten aber sicher ausprobieren.
Besteht das ethische Problem bei Insekten mehr als bei Fleisch?
Beim Thema Ernährung stellen sich immer ganz viele ethische Fragen. Diese sind sehr individuell; und hier gibt es wohl so viele Meinungen, wie es Menschen gibt. Darum ist es für mich bei der Beratung wichtig, den Menschen in seiner Ganzheit zu verstehen, seine Bedürfnisse kennenzulernen und gemeinsam die für ihn umsetzbaren, alltagstauglichen Lösungen zu erarbeiten.
Es ist sinnlos, jemandem diese Produkte zu empfehlen, der sich vor Insekten ekelt oder sie aufgrund ethischer Gründe nicht essen möchte. Dann werden sie keinesfalls auf seinem Teller landen, und seien sie auch noch so gesund.
Generell möchte ich Lebensmittel nicht in gut oder schlecht einteilen. Ein Lebensmittel ist immer nur so gut, wie man es in seinen Alltag integrieren kann. Und das ist sehr individuell. In meiner Beratung steht der Mensch mit seinen Bedürfnissen im Mittelpunkt. Es geht nicht nur um reine Ernährungsgewohnheiten, sondern um die aktuelle Lebenssituation des Menschen. Wie lebt er? Alleine, mit Partner/Partnerin oder hat er Familie? Was macht er beruflich? Welche Rollen spielen Stress, Erholung und Bewegungsgewohnheiten? Fragen über Fragen. Die Antworten darauf sind bei der Ernährungsberatung der Schlüssel zum Erfolg.